VON DER LEGENDE ZUM MYTHOS
THE GLENN MILLER STORY

Glenn Millers Leben und sein musikalisches Wirken boten schon zu seinen Lebzeiten jede Menge Stoff für Legenden. Kein Wunder also, dass Hollywood zehn Jahre nach seinem frühen Tod „Die Glenn Miller Story“ auf die Leinwand brachte.
Der Weg zum Ruhm
Alton Glenn Miller wurde am 1. März 1904 in Clarinda, Iowa, geboren. Im Alter von 13 Jahren kaufte er seine erste Posaune von dem Geld, das er sich mit dem Melken von Kühen verdient hatte. Die Posaune blieb sein Lieblingsinstrument, und sein erstes wichtiges Engagement hatte er 1926 bei Ben Pollack, wo er zusammen mit zukünftigen Stars wie Benny Goodman (damals 17 Jahre alt) spielte. Ende 1928 zog Glenn nach New York und heiratete seine Jugendliebe Helen Burger. Mitte der 30er Jahre gründete er seine erste eigene Band. Der Durchbruch gelang 1939: Das Publikum liebte Glenn Miller und seine Band, die alle Besucherrekorde brach.
Glenn Millers Leben und sein musikalisches Wirken boten schon zu seinen Lebzeiten jede Menge Stoff für Legenden. Kein Wunder also, dass Hollywood zehn Jahre nach seinem frühen Tod „Die Glenn Miller Story“ auf die Leinwand brachte.
DER DURCHBRUCH GELANG 1939: DAS PUBLIKUM LIEBTE GLENN MILLER UND SEINE BAND, DIE ALLE BESUCHERREKORDE BRACH.
Ein Leben wie im Film
Der Film von 1954 ist immer noch sehenswert: Als Hauptdarsteller konnte James Steward gewonnen werden – einer der bekanntesten und beliebtesten Schauspieler, der in den Golden Fifties zum Superstar avancierte. Natürlich hat der Film das Bild von Glenn Miller ein Stück weit idealisiert. Auf der anderen Seite zeichnet er aber doch ein recht authentisches Bild seines Protagonisten. So erzählt er von der materiellen Not des jungen Glenn Miller. Unvergesslich auch die Szene, in der Glenn Miller, der endlich seine eigene Big Band gründen konnte, am ersten Abend einen erkrankten Trompeter durch einen Klarinettisten ersetzen musste: Der unverkennbare Glenn-Miller- Sound war geboren.
Es ist jetzt über 80 Jahre her: Glenn Miller gründete seine Big Band, die zum Inbegriff des Swing wurde. Die spezielle Instrumentierung und die raffinierten Arrangements waren charakteristisch für den unverwechselbaren Sound des Orchesters und entscheidend für seinen Erfolg. Auf beides legte der Orchesterleiter besonderen Wert.
Der Arrangeur macht den Unterschied
Der typische „Glenn-Miller-Sound“ entsteht durch verschiedene Gruppen von Instrumenten, die in der Big Band zusammenkommen und spielen: Im Kern der Band vier Saxophone und eine führende Klarinette, dann die Posaunen und Trompeten, Bass und Schlagzeug und last, but not least das Klavier. Im Hinblick auf die Arrangements war Glenn Miller besonders begabt: Er war ein Perfektionist, der Kompositionen – seine eigenen und die anderer Musiker – so interpretierte und arrangierte, dass sie exakt seinen Klangvorstellungen und damit dem Sound des Orchesters entsprachen.
Swing & Big Band: Kreativität plus Perfektion
Der heutige Swing ist untrennbar mit den großen Big Bands der 30er und 40er Jahre verbunden. In Kansas City entwickelte sich – im Orchester von Count Basie – ein „Riff Style“, in dem das alte „Call and Response“-Schema auf die Satzgruppen großer Jazzorchester angewandt wurde, also auf Trompeten-, Posaunen- und Saxophonsätze. Ein weiteres Element steuerten die aus dem Chicago-Stil hervorgegangenen Musiker bei. Diese neue musikalische Richtung wurde von Glenn Miller und seinem Orchester perfektioniert.
DER TYPISCHE GLENN-MILLER-SOUND IST AUCH HEUTE SO FRISCH UND MITREISSEND WIE AM ERSTEN TAG.
Jazz, Swing, Bands und Business Big Band Swing
Schadet Kommerzialisierung der Musik? Es gibt Puristen, die das meinen und dafür gute Argumente ins Feld führen können. In vielen Fällen ist es aber auch so, dass die Kommerzialisierung – Musik als Business – die Voraussetzung dafür ist, dass Musik überhaupt populär werden kann. Glenn Miller war der lebende Beweis dafür: Er war ein begnadeter Musiker und zugleich ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann.
Im Jahr 1940 platzierte Glenn Miller mit seinem Orchester unglaubliche 23 Songs gleichzeitig in den US-Top-10 – ein Rekord, der bis heute nahezu unerreicht ist.
Seine Songs hielten sich insgesamt 664 Wochen in den US-Charts – das entspricht über 12 Jahren gesamt verbrachter Zeit.
Glenn Miller und sein Orchester waren in insgesamt 15 Kurzfilmen und zwei Hollywoodproduktionen zu sehen – darunter Sun Valley Serenade (1941) und Orchestra Wives (1942).
Vom Keller in den Konzertsaal
In der Geschichte des Jazz ist der Swing etwas Einzigartiges: Swing ist die Stilrichtung im Jazz, die im Laufe von etwa 20 Jahren – zwischen 1920 und 1940 – in den USA die größte Popularität erzielte und nach dem Krieg überall auf der Welt begeisterte Fans fand. In seinen Anfangstagen war der Swing reiner Jazz und eine Domäne afroamerikanischer Musiker. Das sollte sich bald ändern: Der neue Musikstil und sein mitreißender Rhythmus wurden von „weißen“ Mainstream-Bands übernommen und kommerziell vermarktet.
Der Erfolg des Swing hing fraglos auch damit zusammen, dass man wunderbar auf ihn tanzen konnte. Daher wurden die ersten Big Bands, mit denen die Erfolgsgeschichte des Swing untrennbar verbunden ist, häufig für große Tanzveranstaltungen gebucht. Die wachsende Popularität des Swing hatte jedoch noch eine andere – ebenfalls kommerzielle – Quelle: Die damals neuen Massenmedien Schallplatte, Radio und Tonfilm. Die Big Bands nahmen Schallplatten auf, traten in den äußerst populären Radio Shows auf und die Musiker wurden so etwas wie Filmstars. Aus den Kellerkindern des Swing waren echte Stars im großen Rampenlicht geworden.
GLENN MILLER WAR EIN BEGNADETER BANDLEADER UND EIN UMSICHTIGER GESCHÄFTSMANN.
EIN GESPRÄCH MIT
WIL SALDEN
EHEMALIGER ORCHESTERLEITER
Herr Salden, vor 40 Jahren wurden Sie der Leiter des Glenn Miller Orchestra. Wie kam es dazu?
Vom Big-Band-Virus wurde ich früh infiziert. Statt Musiklehrer in Holland zu werden, gründete ich mein eigenes Orchester. Dann erhielt ich den offiziellen Auftrag, mit meiner Band das Glenn Miller Orchestra in Europa und Teilen Asiens zu vertreten. Für mich eine große Ehre und Verpflichtung, die ich von 1984 bis 2024 erfüllt habe.
Ein einzelnes Orchester wäre gar nicht in der Lage, die große Nachfrage nach Glenn Miller Konzerten weltweit zu bewältigen.
Was machte das Glenn Miller Orchestra unter Ihrer Leitung so besonders?
Wir waren keine Tanzband, sondern ein Konzertorchester. Wir standen auf großen Bühnen in weltbekannten Häusern von Frankfurt bis München. Die Fans hörten uns sehr genau zu. Musikalische Qualität und Authentizität unserer Interpretation waren immer entscheidend.
Die Konzertbühne erfordert ein technisch sehr hohes Niveau. Und wir wurden dabei immer besser.
Welche Anforderungen stellten Sie an Ihre Musiker?
Bei uns reichte es nicht, einfach nur gut zu spielen. Man musste ein wirklicher Profi sein. Mit 130 Auftritten im Jahr war das Tourleben anspruchsvoll. Wir reisten ständig mit Bussen, Zügen und Flugzeugen. Manchmal schliefen wir zwischen Auftritten im Flugzeug. Das Orchester war wie eine Familie auf Reisen.
Ihr Publikum war international. Wie haben Sie das erlebt?
In Deutschland war das Publikum eher älter, in Russland und Israel dagegen oft jünger. Im Westen erlebten viele Fans die Musik noch in ihrer Jugend. Anderswo repräsentierte Glenn Miller einen Lebensstil – verbunden mit Lebenslust.
Die Atmosphäre in unseren Konzerten war immer großartig. Das Publikum gab uns die Emotionen zurück.
Wie fiel die Wahl auf Uli Plettendorff als Ihren Nachfolger?
Uli war seit 1987 erster Posaunist – einer meiner dienstältesten Musiker. Seine Erfahrung im Management und in der CD-Produktion machte ihn zur idealen Wahl. Die Entscheidung fiel während einer Zugfahrt nach Moskau. Ich sagte: „Wenn ich das Orchestra an jemanden übergeben möchte, dann an dich.“
Das Erbe in guten Händen zu wissen, war mir wichtig. Mit Uli Plettendorff bleibt der zeitlose Swing-Sound lebendig.
EIN GESPRÄCH MIT
ULI PLETTENDORFF
ORCHESTERLEITER
Herr Plettendorff, seit 2022 sind Sie der Leiter des Glenn Miller Orchestra. Ein Teil des Ensembles sind Sie jedoch schon viel länger …
In der Tat! Meinen ersten Auftritt mit dem Orchestra hatte ich bereits 1987 – als 21-jähriger Student in Amsterdam. Leiter war damals Wil Salden. 2024 hat er zu mir gesagt: „Wenn ich das Orchestra an jemanden übergeben möchte, dann an dich.“ Durch meine Erfahrung im Management von Plattenaufnahmen und Tourneen war ich wohl die naheliegende Wahl.
Als 14-jähriger habe ich in der Schul-Big-Band festgestellt: Diese Musik ist genau mein Ding!
Wie hat sich Ihre Rolle vom Posaunisten zum Orchesterleiter verändert?
Ich bin da eher reingeschliddert. Nach 35 Jahren bin ich eines der dienstältesten Mitglieder. Die Übernahme war nicht geplant, aber ich hatte schon viel Erfahrung in der Organisation von Tourneen und Plattenaufnahmen. Die Übergabe wurde tatsächlich Anfang 2020 im Nachtzug von Sotschi nach Moskau besiegelt.
Ich schliddere so durch mein Leben. Das ist die Chance der Kreativität.
Wie haben Sie den Stil des Orchestras seit Ihrer Übernahme geprägt?
Ich bin ein kreativer Mensch, der wenig plant – aber gut darin ist, sich bietende Gelegenheiten zu ergreifen. Darum besinne ich mich auf den ursprünglichen Geist von Glenn Miller: Er machte Musik für Ballrooms und Hotels. Das Publikum soll sich trauen, mitzugehen und sich der Musik so hinzugeben, wie sie gedacht war.
Swing war die hippe Tanzmusik der jungen Leute. Darum animiere ich die Leute zum Tanzen.
Wie würden Sie den charakteristischen ‚Glenn Miller Sound‘ beschreiben?
Der „Moonlight Serenade“ ist unser Signature Song. Eine wahnsinnig schöne Komposition, melodisch und harmonisch perfekt. Natürlich kennen die meisten „In the Mood“ – ich spiele das Stück, seit ich 14 bin. Es ist keine besonders raffinierte Komposition, aber rhythmisch so stark. Nichts wird einfach so zum Hit.
Auf TikTok gibt es 9 Millionen Videos mit „In the Mood“ als Soundtrack. Ein 80 Jahre alter Song ist wieder Teil der Jugendkultur!
Sie behalten den typischen Sound bei – und erreichen trotzdem ein modernes Publikum. Wie gelingt Ihnen das?
Neue Zielgruppen erreichen wir natürlich über Social Media und eine starke Online-Präsenz. Daran sehen wir: Die Musik steht für sich selbst. Ich glaube an die Qualität und den Impact dieses Genres: Swing wird alles überdauern.
Die jungen Leute kennen Glenn Miller von TikTok. Wenn sie uns live erleben, bleibt ihnen die Spucke weg.
Wie sehen Sie die Zukunft des Glenn Miller Sounds in einer immer digitaleren Welt?
Wir beobachten, dass gerade die authentische Qualität live gespielter Musik wieder mehr geschätzt wird. Unsere Tourneen zeigen, dass die Menschen nach echten musikalischen Erlebnissen suchen. Wir verbinden Menschen durch Musik, die gemeinsam erlebt werden will – nicht isoliert über Kopfhörer. Das Glenn Miller Orchestra steht für diese echte, verbindende Kraft der Musik.
Authentizität ist zeitlos – genau wie der Swing.